Häufig werden wir gefragt, welches Projektmanagement wir etwa für eine hochschulinterne Weiterbildung, für ein konkretes Forschungsprojekt oder die projektorientierte Zusammenarbeit an Fakultäten empfehlen würden, z. B. als Workshop oder in der Form einer Projektbegleitung. Als ausgebildeter Jurist antworte ich dann gerne mit einem vor allem meiner Zunft zugeschriebenen Klischee-Satz: “Ganz einfach: Es kommt darauf an!”
Der klassische PM-Zugang - ein Einstieg, der Struktur vermittelt
Man könnte sich am Kompetenzstand der Zielgruppe ausrichten:
Unserer Erfahrung nach haben die wenigsten Hochschulakteure - Wissenschaftsmanager:innen, Wissenschaftler:innen, Mitarbeiter:innen der Hochschulverwaltung - eine systematische Ausbildung als Projektmanager:innen genossen. Weder war dies Teil ihres hochschulischen Onboardings, noch ihrer Studien und falls doch, selten mit konkretem Bezug zu den (sehr spezifischen) Funktionslogiken einer Hochschulorganisation. Zieht man dies in Betracht, sollte methodisch-didaktisch mit den PM-Basics des klassischen (auch traditionell genannten) Projektmanagements begonnen werden: Hierbei liegt der Fokus z. B. auf der Arbeit mit operationalen Projektzielen, die ihren Namen auch verdienen, auf der Formulierung von handfesten Projektergebnissen, auf der Strukturierung von Projektleistungen, auf der vorhergehenden Analyse etwa von Projektrisiken und -stakeholdern sowie der Planung und dem Managen von Zeit, Kosten und wichtiger Projektressourcen wie z. B. Personal.
Dies ist nicht nur für beispielsweise die Einreichung von Projektanträgen von Vorteil, denn hier verlangen die potentiellen Fördergeber:innen oft schon vor Projektbeginn teils akribische Berechnungen, was wann und wie exakt im späteren Projekt passieren soll. Dies nicht nur, um die Projektidee etwa eines Forschungsvorhabens zu verstehen, sondern verständlicherweise ebenso, um rechtfertigen zu können, wie genau das beantragte Projektbudget sinnvoll eingesetzt werden möchte.
Die Teilnehmer:innen lernen in einem solchen Workshop-Setting u. a., die Komplexität tendenziell unüberblickbarer Vorhaben zu reduzieren, ihre eigenen Projektschwerpunkte nicht aus den Augen zu verlieren und gewinnen Projektsicherheit durch Strukturierung - gerade bei den ersten eigenen Gehversuchen im Projekt wichtig für die persönliche Motivation!
Der agile PM-Zugang - zweckorientiert in der VUCA-Welt
Man könnte sich auch am konkreten Zweck ausrichten, der mit dem Projektmanagement erreicht werden soll:
Ähnlich einem Werkzeug - und Projektmanagement ist zunächst ein praktisches Handwerk - bestimmt nicht dieses, ob es passt, sondern es entscheidet die Frage, was und warum ich etwas damit machen möchte. Einen Nagel mit einem Schraubenzieher hineinklopfen zu wollen, mutet zurecht schwierig an - dafür kann aber der Schraubenzieher nichts.
Möchte man beispielsweise mit Studieninteressierten, Studierenden und frischen Absolvent:innen zusammen eine universitäre Vernetzungs-App entwickeln, über die sich unkompliziert Lernteams bilden können? Oder sollen verschiedene Meeting-Settings ausprobiert werden, um das bestmögliche Format für die Online-Zusammenarbeit von Hochschulgremien abzustimmen? Dann könnte ein agiles Projektmanagement helfen, sich gerade nicht auf (bestehende) Strukturen zu versteifen, den Tunnelblick auf nur ein fixes Ziel festzulegen oder mit viel Planungsaufwand zu Beginn alles durchzutakten, um es anschließend dauernd anpassen zu müssen - was die Projektdynamik lähmen kann.
Beim agilen Projektmanagement steht im Fokus, möglichst wenig zu planen, um dafür schnell ins Tun zu kommen, in kurzen Intervallen Erfolgserlebnisse zu schaffen und an inkrementellen Fortschritten weiterzuarbeiten. Damit zusammen hängt eine Projektkultur, frühzeitig Fehler zuzulassen und daraus bereits während des laufenden Projekts (statt erst danach) zu lernen, dabei iterativ vorzugehen und die Projektarbeit aller transparent zu machen. Im Blick steht stets der Benefit, den spätere Anwender:innen des im Projekt Erarbeiteten davon haben - z. B. dass sie etwas Neues nutzen (wie die Vernetzungs-App) oder ein Problem (wie eine bisher bürokratische Arbeit in Hochschulgremien) lösen können.
Die Teilnehmer:innen lernen in einem solchen Workshop-Setting u. a., dass und wie agiles Projektmanagement erhöhte Anforderungen sowohl an die Selbstorganisationskompetenz der Projektteams wie auch die Bedarfe der Projektkommunikation (in- und extern) stellt - unter Nutzung von Stand-Up-Meetings, Sprint-Zyklen, Burn-Down-Charts usw. Dadurch werden sie gleichzeitig empowert, flexibler mit Projektveränderungen - dem plötzlichen Abzug einer studentischen Projekthilfskraft, einer geänderten Bildungsstrategie des Landesministeriums, einer pandemiebedingt neuen Lehr-Lern-Umgebung etc. - in der heutigen VUCA-Welt proaktiv umzugehen statt bloß darauf zu reagieren.
hybrides Projektmanagement - die Mischung macht die Würze
Zuletzt könnte man sich am Organisationskontext und der vorherrschenden Organisationskultur ausrichten:
Hochschulen sind Experten:innen-Organisationen mit typischerweise flachen Hierarchie bezogen auf direkte Durchgriffsmöglichkeiten des Hochschulmanagements. Sie besitzen oft gegensätzliche Wissenschafts- und Verwaltungskulturen sowie je nach Organisationseinheit sehr unterschiedlich ausgebildete Funktionslogiken. Daher ist es oft herausfordernd, alle am Projekt Beteiligten zu einem einheitlichen Projektmanagement-Zugang zu bewegen. Verschiedene Fächerkulturen von Fakultäten bei einem interdisziplinären Forschungsprojekt etwa, Akteure aus Hochschule, Wirtschaft und Gesellschaft beim gemeinsamen Thema Wissenstransfer oder die IT-Abteilung mit der Prüfungsausschuss und der PR-Stabsstelle zusammenzubringen, erscheint schwierig.
Hier kann ein hybrides Projektmanagement angebracht sein, welches sich aus beiden Zugängen - klassisch wie agil - bedient, je nachdem worauf die Akteure sich einigen und was der jeweilige Projektabschnitt in welcher Intensität benötigt. Zu Beginn kann z. B. klassisches Projektmanagement-Denken dominieren, um die Projektidee und ein gemeinsames Projektverständnis zu schärfen, während eine spätere Test- und Erprobungsphase womöglich stärker agile Projektmanagement-Elemente zulässt, um während der Projektdurchführung viel an Innovation, Kreativität und Motivation zu fördern. Bei der Erstellung eines Führungskräfte-Entwicklungsprogramms beispielsweise könnte das bedeuten, zu anfangs Bedarfserhebungen unter den Leitungspersonen durchzuführen, das Führungsleitbild der Hochschule zu Rate zu ziehen und daraus klassische Projektziele abzuleiten. Später könnte man gemeinsam mit der Personalentwicklung und den Führungskräften agil in Workshops konkrete Weiterbildungssettings entwerfen und prototypisch testen.
Beim hybriden Projektmanagement steht im Fokus, auf die situativen Projektbedürfnisse wie die jeweils unterschiedlichen Arbeitseinstellungen von Personen wie divergierende oder gerade stark im Fluss befindliche Organisationskulturen Rücksicht nehmen zu können. Man vermeidet dadurch zum einen die jedem reinen Projektmanagement-Zugang innewohnenden Einseitigkeiten - das klassische Projektmanagement sieht sich oft dem Vorwurf der starren Überplanung ausgesetzt, das agile gerne der Kurzsichtigkeit und schwereren Beherrschbarkeit. Zum anderen ist auch der Einsatz bzw. das Testen und Adaptieren eines Methodenmix’ selbst ein eigenes Lernprojekt, um für künftige Projekte die beste Kombination aus allen “Projektmanagement-Welten” herauszufinden und auf das Abzustimmen, was die jeweilige Organisationseinheit oder das Projektfachgebiet typischerweise braucht. Dieser Fokus wird u. a. von Teilnehmer:innen unseres Online-Coaching-Programms “Projektmanagement an Hochschulen - Digital” häufiger gerne herausgestellt.
Hybrides Projektmanagement kann in concreto so aussehen, dass man z. B. eine klassische Methode zwar beibehält, aber agil abwandelt (oder umgekehrt). Es ist aber auch denkbar, klassische und agile Methoden nebeneinanderzustellen oder miteinander zu kombinieren.
So ist es etwa möglich, Agiles mit klassischen Methoden aufzufetten, wie z. B. agile Project Sprints und Releases zusätzlich mit aus dem klassischen Projektmanagement stammenden Meilensteinen oder Zwischenzielen abzusichern. Da das agile Projektmanagement weit jünger als das klassische ist, findet sich jedoch häufiger das umgekehrte Vorgehen dahingehend, dass traditionell bestehendes Projektmanagement um neues ergänzt wird: Man kann etwa von der Planungstiefe des klassischen Projektmanagements abweichen, indem z. B. Arbeitspakete nicht genau aus-spezifiziert werden und man den jeweils im Arbeitspaket arbeitenden Projektmitarbeiter:innen überlässt, nach deren (agilem) Gusto die Zusammenarbeit eigenverantwortlich zu bestimmen. Ähnliches gilt für zum Beispiel eine nur grobe Zeiteinteilung des Projektverlaufes anhand von klassischen Projektphasen, wohingegen man konkrete Project To-dos einzelner Wochen und Tage anhand eines Kanban-Boards agil managt. Oft werden auch in der Projektmeeting-Praxis klassische Projekt-Jour-Fixes mit agilen Daily Huddles zur täglichen Projektmotivation angereichert und regelmäßig agile Project Retrospectives hinzugefügt, um das “Wie” der Projektzusammenarbeit zu verbessern.
Zuletzt gibt es auch in einem weiteren Sinne “hybride” Managementsysteme, die klassische wie agile Managementbausteine systematisch miteinander verbinden, und ebenfalls für hybrides Projektmanagement eingesetzt werden können - als Beispiel seien an dieser Stelle die “Objectives & key results” (OKR) für kürzere Projektlaufzeiten zwischen drei und sechs Monaten genannt.
Hybrides PM an Hochschulen - die eierlegende Wollmilchsau?
So verlockend hybrides Projektmanagement ist, teilt dieses zunächst eine Gefahr des agilen Projektmanagements: die Versuchung, sich möglichst Vieles (alles) offen halten zu wollen, nichts zu entscheiden und auf eine klare Projektkommunikation und -steuerung zu verzichten. Iterativ zu managen und nach jedem Zyklus die Situation neu zu bewerten bzw. ggf. zu adaptieren, kann derselben Verlockung erliegen wie Methoden stets situativ mixen zu wollen: Man lässt lieber manch Unangenehmes liegen, überlässt die Kolleg:innen und Mitarbeiter:innen sich selbst und legt sich nicht fest. Gerade dies verlangt aber agiles wie hybrides Projektmanagement unbedingt: Zuvor den Rahmen abzustecken, in dem probiert, getestet und überprüft wird - um nicht am Ende völlig verloren und ohne Fokus dazustehen und den Projektwald vor lauter -bäumen nicht mehr zu sehen.
Im Hochschulbereich erleben wir dies gerade bei Personen mit Leitungsfunktionen häufiger, deren Kernkompetenz keine starke Führung sondern vor allem Fachexpertise ist - vom Institutsvorstand über die Projektleitung und den Ausschussvorsitz hin zum Forschungskoordinator. Just beim Einsatz von hybridem Projektmanagement kann man nicht offenlassen, welche Methode gerade jetzt eingesetzt wird, oder unterlassen deren Einsatz abzustimmen und begründet an alle zu kommunizieren.
Wie bei allen Methodenmixes erschwert hybrides Projektmanagement auch die Einsicht, was am Projekt nun weshalb gut und was weniger gut funktioniert hat. War es der Einsatz eines agilen Tools? War es das Unterlassen einer klassischen Methode? Oder war es die fehlerhafte Kombi im Einzelfall? Projekte sind per se komplexe Vorhaben, die sich jeder monokausalen Betrachtung entziehen, was wir bei der Validität von Projektevaluationen, der Beurteilung von Lessons Learned und der Herausarbeitung von Best Practices sehen. Hybrides Projektmanagement macht es nicht einfacher, dies sauber zu durchblicken.
Zuletzt ist das Phänomen der “Verschlimmbesserung” zu nennen: Durch die Kombination von (beliebig viel) Unterschiedlichem wird es nicht automatisch besser. Die gleichzeitige Einnahme von zwei unterschiedlichen Kopfschmerzpräparaten kann deren Wirkung gegenseitig aufheben, wechselhafte Nebenwirkungen hervorrufen oder gar zusätzliche Bauchschmerzen. Wenn zwei Dreisterne-Köch:innen den Eintopf abschmecken, mutiert er nicht zwingend zum Sechsterne-Gourmetgericht sondern kann überwürzt und damit ungenießbar werden. Eine schlichte Entscheidungslogik, wann welche Anteile aus klassischem und agilem Projektmanagement helfen oder eher schaden, oder warum jetzt dieses und danach jenes kombiniert wird, existiert nicht und verbietet auch die Projektkomplexität.
Ein Vorteil von hybridem Projektmanagement im Hochschulkontext ist hingegen, dass man zumindest die in der Wissenschaft sehr wertvollen, im Projektmanagement aber oft hinderlichen Grundsatzdebatten darüber minimiert, welcher “Schule” man folgen soll, welche Dogmatik die einzig angemessene ist und welchen Mehrwert eine Methodenreinheit in sich birgt. Ein agiles Tool wie ein Kartenspiel für eine Runde Planning Poker auszuprobieren, kann dagegen spielerisch Projekteffizienz wie -motivation steigern, ohne erst die dortige mathematische Abweichung von der Fibonacci-Folge ausdiskutieren zu müssen. Und eine agile Project Retrospective kann die Feedbackkultur und die Zusammenarbeit insgesamt steigern, ohne gleich eine ansonsten vorherrschend klassische Projektkommunikation als solche in Frage zu stellen.
Es nimmt sich hybrides Projektmanagement damit (auch) der hochschulischen Realität mikropolitischer Macht-Mechanismen an: Bestimmte Akteure wie ein:e Professor:in als anerkannte Koryphäe für den neuen Studiengang zu gewinnen oder die Dekanatsleitung zur Finanzierung einer Projektstelle ins Boot zu holen, erfordert oft schnell zu kommunizierende und einfach zu prognostizierende Quick Wins - egal, woher diese methodisch entstammen. Letztlich folgt auch hier das gelebte Projektmanagement einer hybriden Organisationskultur, soweit diese hybrides Arbeiten erfordert oder jedenfalls förderlich erscheinen lässt: Wo es unmöglich oder wenig sinnvoll ist, einen bestimmten Zugang top-down anzuordnen, vorzugeben oder man dies ewig lange (tot-)diskutieren möchte, führt “das, was geht” häufig als pragmatischer Kompromiss zum Projektmanagement-Erfolg.
René Merten, Trainer und Coach - Sie haben Fragen, Ideen oder Feedback? Lassen Sie uns in Kontakt treten - Ich freue mich!